La Victoria tiene un precio elevado y triste. La alegría total, por eso mismo, es patrimonio de las generaciones futuras. Carlos Fonseca

May 23, 2019

Wild, wild Dueck - oder doch nur der Ente neues Federkleid?

Die Werbung für eine Vortrags-Veranstaltung im Imperial-Theater in Hamburg hat mich veranlasst, meine Festplatte zu durchstöbern, und das ist dabei herausgekommen..

Wild, wild Dueck - oder doch nur der Ente neues Federkleid?

Geht's um die Diskussion von "Zukunftsthemen" im WehWehWeh, ist Gunter Dueck nicht weit. Als Philosoph, Mathematiker und Autor wird er üblicherweise vorgestellt, meist dazu noch als Querdenker und Weltverbesserer - von der "Agentur für Helden" (können Sie googlen, muss aber nicht sein) gar als "einer der inspirierendsten Menschen, denen man begegnen kann".

Wie dieser Mann zum Popstar mit zeitgemässer "Fanbase" wurde bleibt schwer nachvollziehbar. Aus seiner und auch meiner Zeit als Aktiver bei der IBM ist mir eines seiner "Daily Dueck" genannten Werke aus dem April 2010 mit dem Titel "Mitarbeiter(selbst)missbrauch und Schweigen" in Erinnerung, in dem er die zur damaligen Zeit gehäuft aufgedeckten Fälle von Kindesmisshandlung mit den Auswirkungen der gesteigerten Arbeitshetze verknüpft[1]. Als verbindendes Element dient ihm dabei das Schweigen, mit dem in beiden Fällen sowohl Opfer als auch deren Umgebung reagierten.

"Wenn die Arbeitsdichte unendlich steigt, ist es dann nicht allgemeiner Mitarbeitermissbrauch? Ist das, was wir tun, nicht Mitarbeiterselbstmissbrauch? Sind wir hier nicht Täter und Opfer zugleich? Der Chef schindet uns, wir schinden uns, wir schinden andere, das System überfordert uns."

Hier soll wohl Systemkritik anklingen, eine Kritik des Systems ist aber nicht zu finden. Ist es denn wirklich so, daß -angefangen beim Chef- jeder sich selbst und andere schindet? Wenn Hr. Dueck die Schinderei für sich selbst bejaht, dann will ich den Wahrheitsgehalt seiner Aussage nicht anzweifeln. Zu behaupten, wir alle seien Schinder, ist aber nicht nur falsch, es ist 'obrigkeitsdienlich' falsch. Indem er uns alle zu Tätern und Opfern gleichermassen erklärt, entschuldigt er die Rücksichtslosigkeit der Antreiber, die natürlich ein menschliches Gesicht haben und mit Namen zu benennen wären. Indem er "das System" als über den Menschen stehend, alle Menschen gleichermassen umfassend annimmt, verwurstet er die Systemkritik zur Kritik des angeblich Menschlichen, die doch nichts ist als Jammern über die angenommene Unzulänglichkeit des Menschen.

Die Verschärfung der kapitalistischen Ausbeutung und Antreiberei im Arbeitsalltag sind nicht bloss eine Folge von übertriebener Gier oder Rücksichtslosigkeit einiger verantwortungsloser Manager. Sie sind Ausdruck des verschärften Konkurrenzkampfes und des globalen Verdrängungswettbewerbs. Deshalb ist es nötig, sich nicht nur gegen konkrete Schinderei von einzelnen Managern zu wehren, sondern die zugrundeliegenden gesellschaftlichen Ursachen anzugreifen. Das aber ist von Herr Dueck nicht zu erwarten. Zu seiner Motivation schreibt er auf seiner Homepage: "Es fing damit an, dass ich 'liebevolle', leidenschaftliche Fundamentalkritik an der Arbeitsgesellschaft übte und es mündete in das Verfassen 'meiner' eigenen Philosophie in drei Bänden."[2] Wie "fundamental" seine Kritik dabei ausfällt wird nicht erst bei der Lektüre seiner "Lebenssinn-Trilogie" deutlich.

"Das Opfer schweigt, die Mitwisser tuscheln nur und schweigen auch. Wer aber offen von generellen Misständen in der Firma spricht, wird sofort zum Schweigen gebracht." Herr Dueck ist nicht zum Schweigen gebracht worden, im Gegenteil warb er für die IBM und die IBM mit ihm, dem Querdenker und Philosophen: er war ja nicht irgendein Mitarbeiter, auch wenn die ständige "Wir"-Position des Autors dies nahelegt. Als "Distinguished Engineer" gehörte er zum "Senior Executive Management Team der IBM", er war u.a. Mitglied der "IBM Academy of Technology" und "Chief Technologist" mit diversen Buchveröffentlichungen und Auftritten in den Medien, ein exponierter Vertreter der IBM nicht nur in Deutschland. Als solcher wurde und wird er heute nicht dafür bezahlt, strukturelle Misstände bei IBM oder die Unmenschlichkeit des kapitalistischen Systems anzugreifen. Im Gegenteil, die Veröffentlichung solch scheinbar systemkritischer Äusserungen dient der Stabilisierung der bestehenden Verhältnisse nach dem Motto: "Schaut mal welch kritische Stimmen bei uns möglich sind"; er war -auch wenn das nicht zu seinem Selbstbild passen mag- die Verkörperung des "Offen gesagt"-genannten Beschwerdebriefkasten-Programms für Intellektuelle.

Prophetisch verweist Hr. Dueck in seinem "Daily Dueck" auf eine ferne Zukunft mit Wirtschaftsaufschwung und geregelter 35-Stunden-Woche, in der nicht nur die Arbeitshetze der Vergangenheit angehöre, sondern auch ein Denken vorherrsche, daß erst den dann ehemaligen Opfern das Durchbrechen des eigenen Schweigens gestatte: "Das geht in der Zukunft, weil gerade keine Krise ist, weil Mitarbeiter(selbst)missbrauch jetzt als schändlich oder unverantwortlich gilt und weil ja alles verjährt ist. So wird es enden." So endet es natürlich nicht, und auch der "DD" endet nicht so. Es fehlt ja noch der dramaturgische Kontrapunkt, die  Auflösung der tragischen Verstrickung im Dickicht des allzu Menschlichen: "'Warum habt ihr damals geschwiegen?', fragen wir in der jeweiligen Gegenwart irritiert und unverständig die Missbrauchten von damals. Und ich frage in der jetzigen Gegenwart: 'Warum schweigen wir heute?'"

Bezeichnend ist, daß die Durchbrechung des allgemeinen Schweigens durch Aufhebung der zuvor permanent gewählten "Wir"-Setzung des Autors erfolgt. Wo es darum gehen müsste, Täter und Opfer zu differenzieren, lässt er gütige Nachsicht walten ("wir schinden andere", Schuld ist ja das System, dass uns überfordert). Die Durchbrechung des Schweigens -"unseres" heutigen Schweigens- ist dann alleinige Sache des Philosophen! Tatsächlich wurde damals keinesfalls nur geschwiegen oder bestenfalls "getuschelt", es wurde im Kollegenkreis und auf den regelmässig anberaumten Betriebsversammlungen sehr wohl über die steigende Arbeitshetze diskutiert und Betroffene haben versucht, sich zu wehren, statt -wie das die naheliegende Konsequenz des Hr. Dueck scheint- ihrerseits andere Kollegen "zu schinden". Aber das ist schnöder Gewerkschafteralltag, damit schafft man es in keine "Top 100"-Chartlist.

Auf "Zeit online", es geht wieder um Weltverbesserung und die diesbezüglichen Dueck'schen Vorstellungen, wird Hr. Dueck gar in eine Reihe mit Karl Marx gestellt: "Eine Art netzpolitischer Karl Marx ist er damit, der genau wie der große Vordenker der industriellen Revolution eine neue Gesellschaft bauen will, um die Ergebnisse des technischen Fortschritts für alle erträglich zu machen."[3]
Ist schon eine erheiternde Vorstellung, Karl Marx hätte beim Verfassen des Kommunistischen Manifests (nachdem er sich die industrielle Revolution aus- bzw. vorgedacht hatte) darauf abgezielt, die Technikfolgen "für alle erträglich zu machen"!

"'Die heutige Leistungsgesellschaft setzt sich nicht mehr zum Ziel, für alle Menschen da zu sein'. In ihr haben nur Menschen Platz, die Gewinn machen oder mit denen Gewinn zu machen ist." schreibt G. Dueck im "krönenden Abschluss seiner Lebenssinn-Trilogie" [4]. Es sind vermutlich solche Gedankengänge, denen "Wild Dueck" seine interessierte und bewundernde Leserschaft auch unter den ehemaligen IBM-Kollegen verdankt. Scheinbar spricht hier einer furchtlos aus, was vielen auf den Nägeln brennt und ihnen den Arbeitsalltag verleidet. Es klingt nach Kritik, nach grundsätzlicher Systemkritik gar, was allerdings verwunderlich wäre bei einem, der es innerhalb dieses Systems bis zum "Chief Philosophy Officer" gebracht hat.

"Warum haben die Menschen Wunden? Weil Eltern und Bosse das Beste für sie wollen und sich im Grunde mit dem Besten nicht so richtig auskennen" [5] Also gut gemeint, aber nicht gut genug gemacht? Wie soll es aber besser gehen? "Achte die Schmerzen deines Nächsten wie deine eigenen .. Damit habe ich eine einfache Antwort gegeben, die ich für absolut wahr halte. Ich habe damit noch keine zusätzliche machinafreie Alpha-Seele für diese Welt geschaffen. Deshalb ist das Problem noch nicht gelöst. Das müssen die Alpha-Quellen tun, von denen wir also mehr und mehr und noch mehr brauchen."[6]

Abgesehen von all dem Begriffs-Geschwurbsel, zu dem ein Philosoph vielleicht meint aufgrund seines Standesdünkel greifen zu müssen, läuft es tatsächlich auf die alte und doch immer wieder leidenschaftlich vorgetragene Forderung nach einer notwendigen Bewusstseinsänderung heraus. Müssten wir alle bloss unsere Einstellung ändern; beschliessen, von nun an gut -artgerecht- leben zu wollen und den wahren Sinn zu erschaffen? Mehr Achtgeben, die Bedürfnisse/Schmerzen der Mitmenschen berücksichtigen und nicht mehr falschen Sinnvorstellungen hinterherjagen? Ja, so sieht er das wohl. Karl Marx hat dies in "Die deutsche Ideologie" bereits entlarvt: "Der Bewusstseinskritiker bildet sich ... ein, dass seine moralische Forderung an die Menschen, ihr Bewusstsein zu verändern, dies veränderte Bewusstsein zustande bringen werde, und er sieht in den durch veränderte empirische Verhältnisse veränderte Menschen, die nun auch natürlich ein anderes Bewusstsein haben, nichts anderes, als ein verändertes Bewusstsein. ... Diese ganze Trennung des Bewusstseins von den ihm zugrunde liegenden Individuen und ihren wirklichen Verhältnissen ... ist nur eine alte Philosophenmarotte."[7]

Aber die bürgerliche Philosophie befasst sich nicht einfach mit den Wunden der Menschen, gar des einzelnen Individuums. Ihr geht's allemal um's grosse Ganze, meistens noch darüber hinaus. In diesem Fall ist ein weiterer Gottesbeweis angekündigt: "Dieses sehr vielschichtige Buch reicht von der Wunde im Ursprung bis zu einer Art Gottesbeweis am Ende ... (und dieser stimmt!)."[8]
Obwohl: "Die Frage, ob Gott real existiert, ist subjektiv irrelevant und in einer tieferen Ebene sogar glaubensschädlich."[9] Um den Glauben nicht zu gefährden, sollten wir also das in-frage-stellen unterlassen: "Die Wissenschaft treibt uns den Sinn aus allem heraus, sie findet aber letzlich keinen, weil alles Wichtige nur gespürt, gefühlt oder intuitiv erkannt werden kann, denn das Wichtige ist unsagbar und kann nicht 'gewusst' werden."[10]
Die Wissenschaft treibt uns nicht den Sinn aus allem heraus, sondern mithilfe der Wissenschaft treiben wir allen Unsinn aus uns heraus, 1890 hat Friedrich Engels dazu geschrieben, die Geschichte der Wissenschaften sei die Geschichte der allmählichen Beseitigung des Blödsinns, resp. seiner Ersetzung durch neuen, aber immer weniger absurden Blödsinn[11]. Und das gelingt umso mehr, je weniger die wissenschaftlich Tätigen sich dabei auf die Sinnsuche begeben.

Wenn schon die Frage nach der göttlichen Existenz glaubensschädlich ist, wie wirkt sich dann der Versuch eines Gottesbeweises aus? Noch dazu mit der selbstgestellten Vorgabe, daß das zu Beweisende nur benannt, aber keinesfalls mit den Mitteln des Verstandes erkannt und damit auch nicht sprachlich beschrieben werden könnte? Das dementsprechend magere Ergebnis all seiner diesbezüglichen Überlegungen ist dann auch die "intuitive Gewissheit", daß "da etwas ist", von dem wir uns aber keine bewusste Vorstellung machen könnten. Alles weitere bleibt der spekulativen Willkür überlassen, und das ist ja auch der Platz, den die Religion seit ihrer Entstehungsgeschichte einnimmt.

Nun könnte man meinen, Glaubensangelegenheiten seien das Privatvergnügen der Gläubigen und bedürften keiner Antwort von Nichtgläubigen. Eine Erwiderung darauf hat der Biologe und Autor Richard Dawkins vorgebracht: "Ich bin ein Gegner der Religion. Sie lehrt uns, damit zufrieden zu sein, dass wir die Welt nicht verstehen."[12] Und so schliesst die Krönung der Lebenssinn-Trilogie in Akzeptanz des "Gottgegebenen" und im geduldigen Hoffen auf Besserung: "Es geht um unser persönliches Leben, nicht um die Wahrheit in irgendeinem Sinne. Verströmen wir also erst einmal alle Kraft und Glück, Zufriedenheit und Weisheit, Liebe und Frieden. Lassen sie uns erst einmal naiv gläubig um die Kirche im Dorf leben." [13]

Muss noch explizit darauf hingewiesen werden, warum solchen "Lebensweisheiten" die wohlwollendste Pflege der Herrschenden zuteil wird? Warum die Claqeure der staatstragenden Medien nicht müde werden, solchen Humbug -und sei er noch so hochtrabend verpackt- massenwirksam zu befördern?

Foto: Michael-Herdlein
[1] http://archiv.omnisophie.com/day_112.html
[2] http://www.omnisophie.com/
[3] http://www.zeit.de/digital/internet/2013-05/republica-gunter-dueck/seite-2
[4] Topothesie, S.193
[5] Topothesie, S.14
[6] Topothesie, S.167
[7] K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 232f., http://www.marx-forum.de/marx-lexikon/lexikon_b/bewusstsein.html
[8] http://www.omnisophie.com/bucher/topothesie-teil-3-der-trilogie/
[9] Topothesie, S.366
[10] Topothesie, S.395
[11] Fr. Engels, MEW 37, S.492/493, nach: http://www.die-linke.de/fileadmin/download/zusammenschluesse/marxistisches_forum/mf_lesehefte2.pdf
[12] Richard Dawkins, Der Gotteswahn
[13] Topothesie, S.397